Aktuelle Ausgabe
Die Beiträge der neuesten Ausgabe Heft 1, 2022 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie können Sie direkt online über den SpringerLink lesen.
Abhandlungen
Das Ansehen von Hausfrauen in Deutschland – Eine quantitativ-empirische Analyse differenzieller Wahrnehmungen
Katrin Stache · Christian Ebner · Daniela Rohrbach-Schmidt
KZfSS 74, 2022: 1-32
Zusammenfassung: Die Erwerbstätigenquote von Frauen ist in den letzten Jahrzehnten international wie auch in Deutschland merklich angestiegen, wohingegen das klassische Male Breadwinner Model zunehmend erodiert. Vor diesem Hintergrund hat die Studie zum Ziel, das gesellschaftliche Ansehen der zahlenmäßig geringer werdenden Gruppe von Hausfrauen, deren Haupttätigkeit in der Haus- und Familienarbeit liegt, mit aktuellen Befragungsdaten zu untersuchen. Die Analysen gehen zum einen der Frage nach, wie hoch das Ansehen generell von der Bevölkerung in Deutschland eingestuft wird und zum anderen, ob sich die Wahrnehmungen anhand von ausgewählten soziodemografischen Merkmalen systematisch unterscheiden. Die empirischen Befunde zeigen, dass das Ansehen von Hausfrauen in Deutschland im Allgemeinen höher eingeschätzt wird als das von Arbeitslosen sowie von Helfertätigkeiten, aber auch geringer als das Ansehen von beruflichen Tätigkeiten auf Fachkräfteniveau. Darüber hinaus variieren die Beurteilungen zum Hausfrauenprestige signifikant danach, welcher sozialen Gruppe (Geburtskohorte, Ausbildungsniveau, Erwerbsbeteiligung, Geschlecht) die Befragten angehören. Weiterführende Analysen von Interaktionseffekten verdeutlichen ferner ein differenziertes Zusammenspiel der Variable Geschlecht mit anderen Gruppenmerkmalen. Der Beitrag schließt mit einer ausführlichen Diskussion der Ergebnisse sowie einem Ausblick auf zukünftige Forschung.
Schlüsselwörter: Prestige · Nichterwerbstätigkeit · Soziale Ungleichheit · Reproduktionsarbeit · Hausarbeit
(K)eine immunisierende Wirkung? Eine binnendifferenzierte Analyse zum Zusammenhang zwischen christlicher Religiosität und der Wahl rechtspopulistischer Parteien
Jan-Philip Steinmann
KZfSS 74, 2022: 33-64
Zusammenfassung: Der Beitrag greift die in der bisherigen Forschung verbreitete Immunisierungshypothese auf, nach der christliche Religiosität vor der Wahl rechtspopulistischer Parteien schützt, und entwickelt eine alternative Lesart für diesen Zusammenhang. Dazu wird auf Basis der „German Longitudinal Election Study“ (GLES) von 2015 und 2017 und der „Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften“ (ALLBUS) von 2018 eine Binnendifferenzierung der christlichen Wählerschaft vorgenommen. Im Mittelpunkt stehen nicht gängige Dimensionen von Religiosität, sondern der Religionsanspruch der Christen. Es wird vermutet, dass christliche Wähler mit exklusivem Religionsanspruch im Vergleich zu denjenigen mit inklusivem Religionsanspruch häufiger rechtspopulistischen Parteien ihre Stimme geben und dass dafür die ausgeprägteren rechtspopulistischen Positionen von Christen mit exklusivem Religionsanspruch verantwortlich zeichnen. Theoretisch begründet werden diese Annahmen in vier Schritten. Erstens wird eine wahrgenommene Bedrohung unter der christlichen Wählerschaft mit exklusivem Religionsanspruch diagnostiziert. Zweitens werden Mobilisierungsargumente rechtspopulistischer Parteien identifiziert, die eine Antwort auf diese Bedrohungswahrnehmung geben können. Drittens werden Wechselwirkungen zwischen religiösen und politischen Weltanschauungen erläutert, die nahelegen, dass ein exklusiver Religionsanspruch und rechtspopulistische Positionen über die Funktion der Nomisierung verbunden sind. Zuletzt kann die Übersetzung rechtspopulistischer Positionen in die Wahl rechtspopulistischer Parteien plausibilisiert werden. Empirisch lassen sich sowohl Belege für den Zusammenhang von Religionsanspruch und der Wahl rechtspopulistischer Parteien als auch die vermittelnde Wirkung rechtspopulistischer Positionen finden. Damit zeigt sich, dass Religiosität bei Vorliegen eines inklusiven Religionsanspruchs immunisierend, aber im Falle eines exklusiven Religionsanspruchs eben auch katalysierend auf die Wahl rechtspopulistischer Parteien wirken kann. Dies deutet auf eine Verschiebung relevanter Konfliktlinien in der deutschen Wählerschaft hin.
Schlüsselwörter: Religion · Rechtspopulismus · Alternative für Deutschland (AfD) · German Longitudinal Election Study (GLES) · Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS)
The Role of the Social Environment in the Relationship Between Group-Focused Enmity Towards Social Minorities and Politically Motivated Crime
Yvonne Krieg
KZfSS 74, 2022: 65-94
Abstract: Politically motivated crime against a person is characterised by the fact that the victims are interchangeable in the sense that individuals are seen as representatives of their social or ethnic group. The current study examines whether the existence of group-focused enmity (GFE) is linked to the perpetration of discriminatory behaviour, in the form of politically motivated crime, which is considered a classic example of the attitude–behaviour relationship. Although various survey studies show connections between group-focused enmity towards social minorities and discriminatory behavioural intentions, there is less knowledge available on whether attitudes can also be regarded as potential risk factors for actual behaviour. The role of the social environment in this relationship, as well as how the attitudes of the social environment are related to the perpetration of politically motivated crime, regardless of personal group-focused enmity, are further analysed. Using a representative student sample from the year 2018 (N = 2824), results show that anti-immigrant, anti-gay, ableist and anti-homeless attitudes are potential risk factors for the perpetration of politically motivated crime against these social minority groups, even after controlling for various other correlates of politically motivated crime. Group-focused enmity has an even greater effect when the student has a like-minded friendship group. Moreover, if the adolescent’s friendship group (hypothetically) approves of such discriminatory behaviour, the likelihood of acting in a politically violent manner is increased, even for adolescents who do not support group-focused enmity.
Keywords: Right-wing extremism · Attitude · Behaviour · Discrimination · Social context
Berichte und Diskussionen
Wie offen sind strukturierte Promotionen wirklich?
Sebastian Neumeyer
KZfSS 74, 2022: 95-111
Zusammenfassung: In dieser Zeitschrift untersuchte Susanne de Vogel (2017) die Fragestellung, inwieweit sich soziale Ungleichheiten beim Zugang zu individuellen und strukturierten Promotionsformen unterscheiden. Anhand multinomialer Regressionen schätzt de Vogel Average Marginal Effects (AMEs) der Bildungsherkunft auf die Übergangswahrscheinlichkeiten in die verschiedenen Promotionsformen und kommt zu dem Schluss, dass „die Bildungsherkunft beim Übergang in strukturierte Promotionsformen und Stipendienprogramme von geringerer Bedeutung [ist] als bei der Aufnahme einer Individualpromotion“ (de Vogel 2017, S. 463). Die vorliegende Replik illustriert, warum der Vergleich der AMEs bei deutlich variierenden Randhäufigkeiten der Übergänge irreführend ist. Als Alternative werden relative Ungleichheitsmaße herangezogen. Es wird vorgeschlagen, Prozentsatzdifferenzen und AMEs an den Randhäufigkeiten der Übergänge zu relativieren, um vergleichende Aussagen über die Repräsentation der Herkunftsgruppen in verschiedenen Promotionsalternativen treffen zu können. Die Ergebnisse zeigen, dass Absolventen aus nichtakademischem Elternhaus in strukturierten Programmen tendenziell schwächer repräsentiert sind als in individuellen Promotionsformen, während Absolventen mit einem promovierten Elternteil in strukturierten Programmen stärker vertreten sind als in individuellen Promotionsformen. Des Weiteren werden die Konsequenzen der Wahl des Ungleichheitsmaßes für die Interpretation der Dekompositionsanalysen dargestellt. Der Beitrag schließt mit methodischen Empfehlungen für Vergleiche sozialer Ungleichheiten zwischen Übergangsalternativen.
Schlüsselwörter: Bildungsherkunft · Bildungsübergänge · Ungleichheitsvergleich · Dekomposition
Soziale Selektivität individueller und strukturierter Promotionsformen revisited
Susanne de Vogel
KZfSS 74, 2022: 113-132
Zusammenfassung: Die Studie „Wie beeinflussen Geschlecht und Bildungsherkunft den Übergang in individuelle und strukturierte Promotionsformen?“ von de Vogel aus dem Jahr 2017 gelangte auf Basis des vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) erhobenen Absolventenpanels 2005 zu dem Schluss, der Zugang zu strukturierten Promotions- und Stipendienprogrammen sei weniger selektiv als der Übergang in Individualpromotionen. Am Beispiel dieses Artikels zeigt Neumeyer in diesem Heft, dass die Berechnung und Interpretation absoluter Ungleichheitsmaße wie Average Marginal Effects in der Ausgangsstudie problematisch sein kann, wenn die Randverteilungen der Bildungsalternativen stark divergieren. Bei einer Reanalyse der Herkunftsdifferenzen mit relativen Ungleichheitsmaßen (Odds Ratios, Relative Risk Ratios und relativen Average Marginal Effects) gelangt er teils zu gegenteiligen Befunden. Daran anknüpfend erfolgt in diesem Beitrag eine Einordnung dieser Erkenntnisse in den laufenden methodischen Diskurs der Ungleichheitsforschung. Ergänzend bringt auch eine Reanalyse der Geschlechterunterschiede aus der Ausgangsstudie abweichende Ergebnisse hervor. Zieht man relative Ungleichheitsmaße heran, zeigen sich am Übergang in Promotionen im Rahmen von Anstellungen als wissenschaftlich Mitarbeitende zwar nach wie vor die größten Geschlechterunterschiede. Im Vergleich erweist sich der Zugang zu freien Promotionen aber als weniger selektiv als der Zugang zu strukturierten Promotions- und Stipendienprogrammen. Die Verwendung relativer statt absoluter Ungleichheitsmaße hat auch Auswirkungen auf die Ergebnisse der Dekompositionsanalysen. Die aktuelle Diskussion demonstriert, wie bedeutsam die Wahl der Analyseperspektive und Ungleichheitsmaße bei der Messung und Quantifizierung sozialer Ungleichheiten ist. Der vorliegende Beitrag macht zudem deutlich, dass zukünftige Studien neben der Wahl des Ungleichheitsmaßes auch mit alternativen Forschungsansätzen die Erkenntnislage zur Selektivität formaler Promotionsformen weiter absichern sollten.
Schlüsselwörter: Doktorand · Bildungsübergänge · Soziale Ungleichheit · Bildungsherkunft · Geschlecht · Ungleichheitsmaß
Literaturbesprechungen
Soziologie der Dinge
- Krankenhagen, Stefan: All these things. Eine andere Geschichte der Popkultur. (Michael Corsten)
Soziologie der Selbstoptimierung
- Röcke, Anja: Soziologie der Selbstoptimierung. (Diana Lindner)
Wissenschaftlicher Mittelbau
- Holderberg, Per, und Christian Seipel (Hrsg.): Der wissenschaftliche Mittelbau – Arbeit, Hochschule, Demokratie. (Stephanie Beyer)
Soziologie der Bewertung
- Berli, Oliver, Stefan Nicolae, und Hilmar Schäfer: Bewertungskulturen. (Nadine Arnold)